Wie krank muss man sein?

Wenn man in der Werbung arbeitet, kriegt man mit der Zeit - wie wohl in jedem Job - einen ganz guten Überblick über langfristige Entwicklungen in der Branche. Einen der wohl maßgeblichsten Einflüsse im Sportbereich hatte damals der Aufschlag von Nike und deren trendsetzende Markenführung und Kommunikation. JUST DO IT wurde zum wichtigsten und meistzitierten Claim in der Branche. Und adidas wurde plötzlich zum Zeichen für Vereinsmitglieder im SV Spießer. Aggressiv, provokant, energisch, "challenging", das war Nike - und das war gut. Denn das Rennen war eröffnet, und die große Konkurrenz der beide Giganten trieb nicht nur die Produktentwicklung voran, sondern auch die Werbung - und damit unser Vergnügen.
Umso müder macht einen da die Entwicklung der Kommunikation auf dem FliFi-Markt.
Loop machte den Anfang - und das war gut. Man nehme einfach ein bißchen Nike Brand Essence und rühre ein wenig Flyfishing darunter, schon hat man den neuen Herausforderer auf einem Markt voller verstaubter, verschnöselter Oldschool-Marken. Loop kam aggressiv, energetisch, "challenging" und "adventureseeking" daher und hatte Erfolg. Und auch wenn man den Loop-Jungs nun vorwerfen könnten, momentan in ihrer Markenentwicklung stehen zu bleiben und das Gefühl für die neuen Zeiten zu verlieren: sie haben unbestritten gutes Design geliefert und einen guten Job gemacht. Nicht nur im Produkt, sondern vor allem auch in der Markenbildung. (Außerdem: wer weiß schon, welche Marken-Strategie sie gerade im Köcher haben). Endlich konnte man sich Anzeigen, Kataloge, Broschüren unn Websites ansehen, ohne blind zu werden.
Dann kam lange nix.
Scheinbar hatten es die Anderen sich gerade gemütlich gemacht (also gerade erst vor 20 Jahren) oder sie hatten einfach nur die Situation nicht erkannt.
Doch nach und nach wachten die anderen "Marken" auf. Der wachsende Erfolg des "gut aussehenden Powercastermodels" war ihr Wecker. Erst eins dann zwei dann drei dann vier, dann standen sie bei den Chinesen vor der Tür - und bei anständigen Grafikern, die den "Marken" endlich mal ein anständiges Äußeres verpassten; wenn auch kein Besonderes.
Schnitt.
Gefühlte 100.000 Jahre später entdeckt man dann diese Anzeige von LOOMIS im CATCHMAGAZINE.



Das Motiv läuft schon ein Weilchen (was in der FliFi-Branche aber getrost als "neu" bezeichnet werden darf). Und da steht dann - Achtung, provokant! -:
"Wie krank muss man eigentlich sein, um so eine gute Fliegenrute zu bauen?"
Entschuldigung, bitte was? Was soll man auf diese rhetorische Frage antworten?

a) Man muss eigentlich schon hirntot sein, wenn man dem Kunden verrät, daß es eigentlich gar nicht nötig ist, so eine "gute Rute" zu bauen, denn es checkt ja eh keiner. Also warum soviel Geld investieren?

b) Man muss schwer krank sein, wenn man glaubt, daß man Erfolg hat, wenn man sein Bestes gibt.

c) Man muss ziemlich krank sein, wenn man glaubt, daß man mit so einer mauen Botschaft immer noch punkten wird: "Hey, und wieder eine Revolution im Rutenbau ... nach 2009, 2008, 2007, ... und nach Orvis und Sage und Loop und Hardy und Rudi Rutenbauer und und und ..."

d) Man muss zumindest erhöhte Temperatur haben, um das Bild eines anständigen, konzentrierten, konservativ wirkenden Ingenieurs mit solch "kranken" Attributen zu versehen (bitte jetzt keine Hassmails von wegen "Sie kennen Rajeff ja gar nicht", denn dass muss der Autor nicht, er ist schließlich der ahnungslose Kunde, dessen Unwissenheit ja glücklicherweise viel Geld bringt.)

oder e) wie extrarevolutionär: Man muss überhaupt nicht krank sein, wenn man so eine gute Fliegenrute baut. Das geht scheinbar sogar recht leicht. Denn das behauptet schließlich fast jeder im Markt. Dann kann's doch nicht so schwer sein. Himmelherrgottnochmal ...

Es dürfen alle Antworten angekreuzt werden. Denn das wirklich Erstaunliche kommt jetzt: LOOMIS hat diesen post-LOOP und postpostNIKE-Ton gar nicht nötig. Die sind nämlich gut. Also bitte: Seid Euch Eurer Qualitäten bewusst. Rennt nicht hinterher. Geht Euren Weg. Denn "Just do it" stimmt eben nicht immer. Man kann Dinge auch just 10 Jahre zu spät do'n.

Vielleicht wird's ja Zeit für eine neue Marke, die genau das Gegenteil tut. Egal von was. ;-)

Wenn schon schnuffte, dann richtig schnaffte.

Coco Chanel war Fliegenfischerin. Sie hing mit Ritz am Alta ab und fing mit dem Silver Doctor Lachse, bis der Arzt kam. Nur deshalb kann es das 16er Hirn eines normalen Fliegenfischers begreifen und viel wichtiger: akkzeptieren, dass Chanel ein schnafftes Fliegenfischerset für schnuffte 9,170£ präsentiert. Das Ganze kommt dann natürlich inklusive einer Coco Fly mit dem berühmten Doppel-C in der Schwinge.
Würde mal sagen, sauber abgelegt.

Da schmunzelt der Fliegenfischer.

Die ZEIT hat online eine nette Foto-Strecke übers Fliegenfischen gemacht. Nett deshalb, weil sie so herrlich naiv unsere Leidenschaft für Leidenschaftslose beschreibt - inklusive echter, analoger Naturfotos für die digital Ausgegrenzten:

 http://www.zeit.de/lebensart/2010-09/fliegenfischen